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Tandem-“Magie” in der Chefetage: “Nur die wenigsten wollen ihre Macht im Job teilen”

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Tandem-“Magie” in der Chefetage: “Nur die wenigsten wollen ihre Macht im Job teilen”

Geteilte Führung statt One-Man-Show? Digital-Vorständin Fränzi Kühne ist überzeugt vom sogenannten Tandem-Modell. Nach anderthalb Jahren in einer Doppelspitze beim Stiftehersteller Edding zieht sie Bilanz. Wie ihr Arbeitsalltag aussieht, wie das Unternehmen und die Kollegen profitieren und warum bei ihr kein Machtgerangel entsteht, erklärt die Managerin und Gründerin im Gespräch mit ntv.de.

Sie haben sich für Jobsharing entschieden. In den Sozialen Medien ziehen Sie nach anderthalb Jahren eine positive Bilanz. Ihre Zeit scheint trotzdem knapp zu sein. Wir beide haben nur sehr schwer einen Termin gefunden, um miteinander zu sprechen. Hand aufs Herz, funktioniert das mit dem Jobsharing wirklich so gut?

Ganz ehrlich und unverblümt? Das Jobsharing funktioniert super! Aber das war auch nicht von Anfang an so. Natürlich nutze ich die Zeit, die ich nicht für die Edding AG arbeite, auch für mein Familienleben und meine anderen Jobs, die ich nebenher mache. Gerade in der Weihnachtszeit wird es da manchmal turbulent.

Sie sind eine Karrierefrau. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Job – wir reden von einem Führungsjob – mit jemandem zu teilen?

Als ich meine Firma, die ich gegründet hatte, verlassen habe, war ich in einer Findungsphase. Mir war früh klar, dass egal, was ich Neues anfange, es auf keinen Fall in Vollzeit sein würde. Dafür habe ich zu viele Projekte nebenher. Ich habe ein Buch geschrieben, ich halte Vorträge über “Diversity” und “New Work”. Ich wollte wieder mit einem Team arbeiten, aber trotzdem weiter meine anderen Jobs machen und mich um meine Familie kümmern.

Welche Voraussetzungen muss ein Unternehmen mitbringen, damit Jobsharing, insbesondere geteilte Führung, im Betrieb funktioniert?

Grundsätzlich braucht es eine gewisse Offenheit, sich auf so etwas einzulassen. Letztlich hängt es aber gar nicht so sehr am Unternehmen. Bei uns musste die “Governance”-Struktur geklärt und die Satzung geändert werden, um den rechtlichen Rahmen dafür zu schaffen, dass wir beide in den Vorstand gehen konnten. Wir haben exakt dieselben Verträge. Es darf nicht einer mehr und der andere weniger verdienen. Nachdem die Rahmenbedingungen geklärt waren, war es dann aber an uns – den beiden Tandempersonen -, die Dinge zu verabreden. Grundsätzlich denke ich, man sollte nicht irgendwelche vorgefertigten Strukturen erwarten, sondern selbst handeln und sich eine passende Struktur für dieses Job-Modell überlegen.

Sie teilen sich seit 2022 den Job des Digitalvorstands bei der Edding AG mit Boontham Temaismithi. Boontham ist Ihr “Tandem”, sagen Sie. Was ist der Unterschied zwischen Jobsharing und einem Tandem-Job?

Das wird überall unterschiedlich definiert. Für mich bedeutet Tandem tendenziell eher eine zeitliche Aufteilung, Jobsharing dagegen die Teilung der inhaltlichen Verantwortung. Boontham und ich machen beides. Wir teilen uns Projekte, aber auch die Führung.

Und wie darf man sich das praktisch vorstellen?

Vertraglich teilen wir uns eine Stelle, wir arbeiten aber beide zu 60 Prozent. Jobsharing klingt zwar nach 50/50, aber mit weniger kommt man nicht aus. Unsere Arbeitszeit überlappt sich viel. Wir sind Sparringspartner, haben also einen engen inhaltlichen Austausch. Wenn ich mit einer Entscheidung in eine Vorstandssitzung gehe, dann ist die automatisch klüger, als wenn die nur eine einzige Person getroffen hätte. Die Qualität ist einfach besser, weil sie durch zwei Köpfe gegangen ist.

Das heißt, Sie schließen sich die ganze Zeit immer wieder kurz? Das hört sich umständlich an. Das verzögert doch Entscheidungen?

Richtig, wir sind im ständigen Austausch. Aber wenn wir sofort eine Entscheidung treffen müssen und uns noch nicht ausgetauscht haben, haben wir verabredet, dass entscheidet, wer in diesem Termin ist. Und die Entscheidung ist dann auch verbindlich. Wer zuerst etwas sagt, hat die Meinung gesetzt. Damit muss man sich abfinden.

Sie müssen sich doch sicherlich auch häufig außerhalb Ihrer Dienstzeiten abstimmen. Welche Regeln haben Sie dafür aufgestellt?

Wir arbeiten sehr viel über Kalender. Ich habe Tage, wo für die Organisation und meinen Tandempartner ganz klar erkennbar ist, dass ich nicht für Edding arbeite und andere Sachen mache. Jour-fixe-Termine werden dann aufgeteilt. Bei wichtigen strategischen Meetings sind wir meistens beide da. Aber es ist auch so, dass ich keine klare Zeiterfassung mache. Ich arbeite also nicht nach Stechuhr. Das heißt auch, ich habe keine Ahnung, wie viele Stunden ich in der Woche bezahlt werde für eine 60-Prozent-Stelle. Ich mache das mehr oder weniger nach Bauchgefühl.

Aber dann arbeiten Sie doch gegebenenfalls zu viel und umsonst?

Fränzi Kühne ist Mitgründerin von TLGG, der ersten Social-Media Agentur in Deutschland. 2017 war sie mit 34 Jahren Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin. Seit Anfang 2022 ist sie im Vorstand der Edding AG. Dort teilt sie sich mit ihrem Tandem-Partner Boontham Temaismithi, ebenfalls Mitgründer von TLGG, den Posten des Chief Digital Officers. Als Doppelspitze treiben sie in dem Familienunternehmen die digitale Transformation voran.

(Foto: Fränzi Kühne)

Nein, auf der anderen Seite profitiere ich ja dann von Zeiten, wo ich mal länger Urlaub mache oder wo ich drei Tage die Woche überhaupt nicht für Edding da bin. Dann telefoniere ich zwar mit Boontham, weil mich ja interessiert, was los ist. Aber das würde ich nicht als Arbeitszeit begreifen. Ein gewisses unternehmerisches Denken und eine Verantwortung der Akteure müssen schon vorhanden sein.

Das hört sich erstmal finanziell sehr vorteilhaft für ein Unternehmen an. Umfragen haben ergeben, dass Jobsharing beziehungsweise solche Tandem-Modelle als produktiver, agiler und belastbarer wahrgenommen werden, als wenn eine Person allein in Vollzeit arbeitet. Würden Sie das so unterschreiben?

Die Präsenz und die Wirkung von zwei Personen, die Verantwortung übernehmen, ist ja schon mal ziemlich offensichtlich für ein Team. Gibt es zwei parallele Termine, die für uns wichtig sind, können wir an beiden teilnehmen. Für Edding zählt, dass immer jemand verfügbar und erreichbar ist. Das ist ein enormer Pluspunkt. Ich glaube, deshalb wird so ein Modell auch als stabiler wahrgenommen. Aber wie gesagt, dazu gehört auch immer eine gewisse Offenheit.

Sie sehen keine Nachteile?

Natürlich gibt es auch Skepsis und Fragen. Wer genehmigt den Urlaub und so. Wichtig ist, immer gute Antworten parat zu haben und sich auch immer wieder Feedback einzuholen. Gibt es beispielsweise irgendwo Verbesserungsbedarf? Man muss also immer das Ohr an der Schiene haben. Letztlich muss es sich einfach für alle Seiten gut anfühlen.

Kommt es vor, dass Mitarbeiter lieber mit dem einen oder der anderen von Ihnen zusammenarbeiten?

Das ist doch menschlich. In manchen Konstellationen ist es so, dass der fachliche Austausch über mich läuft und der persönliche über Boontham. Manchmal ist es aber auch genau andersherum. Bei manchen Leuten sind wir auch Good Cop und Bad Cop. Wir spielen das genauso wie die anderen. Das ist ein enormer Vorteil und es wird auch genauso wahrgenommen. Wichtiger als alles andere ist, dass wir Sicherheit vermitteln. Keiner von uns hat einen Wissensvorsprung oder -defizit. Darauf muss sich das Team verlassen können. Es muss nichts doppelt erzählt oder ein Termin nachgeholt werden, weil einer von uns nicht im Bilde ist. Durch Jobsharing oder das Tandem-Modell darf keine Mehrarbeit entstehen.

Ein Sharing-Modell ist komplexer, nicht nur für Mitarbeiter. Für den Arbeitgeber bedeutet es zusätzliche Kosten und administrative Mehrarbeit. Sind das nicht triftige Gründe gegen das Jobsharing-Modell?

Wenn wir uns heute Stellenausschreibungen und die Anforderungen anschauen, ist es doch häufig so, dass da eigentlich vier Personen für eine Stelle gesucht werden. Deshalb sind zwei denkende Köpfe mit unterschiedlichen Skills und Kompetenzen in Personalunion doch perfekt. Allein aus gesundem Menschenverstand ist das doch logisch. Ein Unternehmen kauft sich zwei Köpfe ein, die unterschiedliches Wissen und unterschiedliche Stärken mitbringen und einsetzen. Die Wahrheit ist: In diesem komplett unterschätzten Modell steckt viel Magie drin. Wir brauchen in diesen Zeiten unterschiedliche Skills. Dazu wächst noch eine Generation heran, die nicht mehr bereit ist, 40, 60 oder 80 Stunden die Woche zu arbeiten. Der Arbeitgeber bekommt beim Jobsharing-Modell doch genau das, was er braucht. Dazu noch zu einem guten Preis.

Sehen Sie das Modell angesichts des chronischen Fachkräftemangels auch als Chance, mehr Frauen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen?

Na klar. Wir verzichten gerade auf 50 Prozent der Bevölkerung, weil Führung und geteilte Führung nicht in die Köpfe reingehen. Viele Menschen – egal ob in den Chefetagen oder untergeordneten Abteilungen – können sich das einfach nicht vorstellen. Da spielt auch das Statusdenken eine Rolle. Die wenigsten Menschen wollen ihre Führungs- und Machtposition teilen, weil das bedeuten würde, dass man sich auch den Erfolg teilt, wenn es gut läuft. Ich für meinen Teil sage dagegen immer, Erfolge, die wir feiern, sind doppelte Freude und das Leid und die Misserfolge sind geteiltes Leid. Für mich ist das nicht mehr wegzudenken.

Können das tendenziell alle schaffen?

Man muss sich sicher sein, dass der Partner im Job nicht eine eigene politische Agenda verfolgt und auf einmal sagt, eigentlich will ich die Position für mich ganz allein haben. Eigentlich verfolge ich andere persönliche Ziele. Diese Sicherheit ist absolut notwendig, damit kein Machtgerangel entsteht. Andernfalls ist dieses Modell zum Scheitern verurteilt. Genau diesen Menschen zu finden, mit dem man das machen kann, dem man so zu 100 Prozent vertraut, ist in der Tat die größte Herausforderung.

Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Modell Schule macht?

Eher weniger. Auf Vorstandsebene sind wir bislang das einzige Modell in Deutschland. Leider wurde es noch nicht nachgeahmt.

Sie nannten die unterschiedlichen Skills, die für Unternehmen von Vorteil sind. Können Sie sich vorstellen, dass sich noch mehr Mitarbeiter einen Job sinnvoll teilen können? Was ist mit drei oder vier Leuten?

Ich überlege, warum es nicht gehen sollte. Der Abstimmungsaufwand und die Partnersuche werden dadurch natürlich noch komplexer. Aber im Prinzip geht das. Ich habe auch zu dritt gegründet und das fühlte sich an wie ein Dreier-Jobsharing, weil man ja in derselben Verantwortung ist mit unterschiedlicher Aufteilung je nach Stärken und Fähigkeiten. Warum also nicht?

Mit Fränzi Kühne sprach Diana Dittmer



This article was first published at www.n-tv.de