Original Unverpackt im Interview: Leben ohne Plastik – lohnt sich das?

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In Sachen Klimakrise hält es Katharina Richter wie Eckart von Hirschhausen: Die Erde ist unser Wohnzimmer und das hält man sauber. Die Geschäftsführerin hat den ersten Original Unverpacktladen in Berlin Kreuzberg aus der Insolvenz gerettet. Weshalb es sich lohnt, müllfrei zu leben, erzählt sie im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Die Idee von Original Unverpackt ist im vergangenen Jahr an mehreren deutschen Standorten gescheitert: Auch das Geschäft in Berlin Kreuzberg ging insolvent. Warum halten Sie dennoch an dem Konzept fest?

Katharina Richter: Ich habe bereits vor meiner Übernahme im vergangenen Jahr für Original Unverpackt gearbeitet. Der Grund für die Insolvenz war nicht das Konzept selbst. Der Laden ist vielmehr von der Kreditlast und Projekten, die nicht weiterverfolgt wurden, erdrückt worden. Um gut wirtschaften zu können, musste er lediglich auf ein gesundes Maß schrumpfen. Wir hatten zu Höchstzeiten 30 Mitarbeitende – jetzt sind wir nur noch zehn.

Mithilfe von Crowdfunding konnten Sie das Ruder damals herumreißen. Für den Start von OU sammelte Gründerin Milena Glimbovski 2014 in einer Kampagne mehr als 100.000 Euro ein. Die Rettungsaktion 2022 brachte lediglich 12.000 Euro ein. Ebbt die Begeisterung ab?

Katharina Richter ist seit 2022 Geschäftsführerin von Original Unverpackt in Kreuzberg.

Die Kampagne im vergangenen Jahr sollte vor allem eine Vorfinanzierung der Ware für ein bis zwei Monate sichern – der Laden existierte ja bereits. Somit war ein höherer Betrag gar nicht nötig. Das Ganze diente außerdem als Marketingkampagne. Wir wollten dringend Reichweite generieren, nachdem uns die Berichterstattung in gewisser Weise das Genick gebrochen hatte.

Inwiefern?

Viele Medien haben über die Insolvenz berichtet. Dass der Laden weiterhin geöffnet war und bis heute ist, blieb im Anschluss unerwähnt. Mithilfe der Crowdfunding-Kampagne konnten wir also auch positiven Lärm machen.

Wie sehen aktuelle Marketingstrategien aus?

Wir wirtschaften auf einem niedrigeren, aber sehr stabilen Niveau. Dabei orientieren wir uns an unserer Stammkundschaft und wollen uns vor allem im Kiez besser etablieren. Natürlich bespielen wir auch Instagram und andere Social-Media-Kanäle oder verschicken Newsletter. Unser Fokus liegt nicht in erster Linie auf Wachstum, sondern auf der Verbesserung einzelner Prozesse und dem Aufbau eines finanziellen Puffers.

Gab oder gibt es neben dem Crowdfunding weitere Finanzierungshilfen?

Laut Berliner Senat gibt es viele Förderungen für junge Unternehmen – doch für unser Konzept fehlt die passende Kategorie. Auf unseren Antrag auf Gemeinnützigkeit hieß es, wir seien nur ein profitorientierter Supermarkt. Dabei sind wir so viel mehr: Wir sind Impulsgeber und Begegnungsort, bieten Raum für Bildung und nachhaltige Entwicklung. Wir fördern die Umweltbildung in Kitas und leiten regelmäßig Führungen durch unsere Betriebe. An dieser Stelle hängt die Politik deutlich hinterher. Es fehlt noch immer eine geeignete Unternehmensform für gemeinwohlorientierte Unternehmen. Somit gibt es auch kaum Raum für Unterstützung.

Pandemie, Krieg und Inflation – Deutschland schlittert von einer Krise in die nächste. Bereuen Sie die Übernahme?

Ich bemühe mich, das Ganze separat voneinander zu betrachten. Mein Beruf bedeutet für mich Selbstverwirklichung und ist zugleich eine Strategie, um mit der Weltlage insgesamt besser zurechtzukommen. Denn ich weiß, dass wir etwas Sinnvolles und Wertvolles tun. Deshalb kann ich mir auch keinen besseren Beruf vorstellen.

Die Krisen gehen auch an den Verbrauchern nicht spurlos vorbei. Wie gehen Sie mit der Kaufzurückhaltung der Kunden um?

Die Veränderungen sind im gesamten Lebensmitteleinzelhandel spürbar. Uns und auch den Biohandel trifft es besonders hart, da wir einfach nicht so kapitalstark sind wie die Discounter. Unsere Umsätze reichen dennoch aus, sodass wir uns zusätzlichen Projekten widmen können. Kürzlich haben wir die Übernahme eines zweiten Ladens gestemmt, der wegen eines Umzuges der Inhaberin vor der Schließung stand. Durch mehr Austausch und engere regionalere Zusammenarbeit, ist man außerdem resilienter vor globalen Krisen und kann insgesamt enger zusammenwachsen – auch in den Kiezen, die ja leider oft anonymer werden. Wir investieren zudem viel Zeit in den Unverpackt-Verband, in die Professionalisierung der Branche und die Gründung einer Einkaufsgenossenschaft.

Das Thema Nachhaltigkeit ist bei vielen als Luxusthema verschrien. Wie wollen Sie mit Ihrem Konzept die Normalverbraucher und -verbraucherinnen erreichen?

Glücklicherweise sind wir mit unserem Anliegen nicht allein. Wie Eckart von Hirschhausen gerne auf seinen Veranstaltungen sagt: “Sie kacken doch auch nicht in Ihr Wohnzimmer.” Diese Welt ist unser Wohnzimmer und momentan verbrauchen wir mehr, als wiederhergestellt werden kann. Es ist unumgänglich, dass wir mit dem Abbau unserer eigenen Lebensgrundlagen stoppen müssen. Früher oder später wird das jede und jeder begreifen, da die Folgen bereits spürbar sind. Menschen werden nicht gerne darauf hingewiesen, dass sie etwas “falsch” machen und verfallen dann in Gegenwehr. Wir wollen ohne erhobenen Zeigefinger darauf hinweisen, dass es auch anders geht. Dafür bieten wir ressourcenschonende Alternativen für den Konsum.

Wie sehen diese Alternativen aus?

Wir verzichten nicht nur auf Einzelhandelsverpackungen, sondern auch auf Sekundär- und Tertiärverpackungen sowie all das, was davor anfällt. Wir nehmen Altglas entgegen und sorgen dafür, dass es wiederverwendet wird. Gegen ein Pfandgeld können bei uns auch alte Paketverpackungen, also kleine Kartons, für die keine Verwendung mehr besteht, abgegeben werden – so sparen wir unnötige Kosten für neue Pakete. Viele denken immer, Recycling allein wäre die Lösung. Dabei müssen wir auch unseren Verbrauch insgesamt minimieren, weil die nötigen Rohstoffe schwinden.

Wie funktioniert die Mülleinsparung konkret?

Unsere Waren werden in Mehrwegbehältern oder im Großgebinde und ohne Umverpackung geliefert. Spaghetti kommen im 5-kg-Sack und sparen im Vergleich zur 500 g Packung im (Bio-) Supermarkt 58 Prozent Primär- und 100 Prozent Sekundärverpackung. Oregano kommt im Mehrwegeimer und kommt völlig ohne Verpackungsmüll aus. Passierte Tomaten werden im Pfandglas verkauft, sodass unzählige Einweggläser und somit Altglas eingespart wird. Unsere 262 Mitgliederläden haben im Jahr 2023 nur durch den Verkauf von Spaghetti Napoli über 500 Kilo Plastik (oder 230 volle Gelbe Säcke), fast 3 Tonnen Karton und über 12.000 Tonnen Altglas vermieden. Und das bei drei Produkten aus einem etwa 800 Produkte umfassenden Sortiment.

Verbraucher und Verbraucherinnen können immer öfter auch in Supermärkten verpackungsfrei einkaufen. Wieso lohnt sich dennoch der Weg in einen Unverpacktladen?

Zum einen belebt Konkurrenz das Geschäft, zum anderen freuen wir uns, wenn auch andere den Sinn unseres Anliegens erkennen. Es geht nicht darum, diese Erkenntnis für sich zu veranschlagen – im Gegenteil. Der Weg in einen Unverpacktladen lohnt sich dennoch weiterhin, da wir fast ausschließlich Bioware anbieten. Dabei ist unsere Auswahl meist größer als in herkömmlichen Supermärkten. Zudem setzen wir durchgehend auf Großgebinde. Die meisten Produkte landen in 20 bis 25 Kilo-Gebinden bei uns. Viele Supermärkte sind nicht darauf ausgelegt, solche Produkte zu lagern. Dass größere Supermärkte unsere Themen jedoch schrittweise übernehmen, zeigt, dass wir hier genau am Puls der Zeit sind – wenn nicht sogar vor der Zeit.

Wie bleiben Sie trotz des “Krisen-Marathons” motiviert?

Größter Motivator ist mein Sohn. Ich kämpfe dafür, ihm eine Lebensgrundlage zu erhalten. Ich selbst bin in relativ ruhigen Zeiten aufgewachsen – ein großes Privileg. Nun möchte ich den Planeten ein wenig besser hinterlassen, als ich ihn vorgefunden habe. Läden wie unsere bauen keinen Wohlstand ab – wir sichern Wohlstand für die zukünftigen Generationen. Denn Wohlstand bedeutet nicht nur Konsum, teure Autos oder Reisen, sondern auch der Erhalt guter Lebensgrundlagen.

Ein Schreckensszenario wäre die erneute Insolvenz. Was würden Sie dann tun?

Als Geschäftsführerin behalte ich die Liquidität meines Geschäftes im Blick. So kann ich Kapitalengpässe frühzeitig erkennen und entsprechend gegensteuern. Zudem gibt es die Möglichkeit, Privatdarlehen oder Bankkredite aufzunehmen. Bleibt die Nachfrage groß genug, ist auch Crowdfunding immer eine Option.

Wie steht es denn um die Profitabilität von Original Unverpackt?

Als sehr junge Branche ist Profitabilität nichts, was wir per se anstreben. Momentan fließen alle Gewinne wieder an das Unternehmen zurück. Zwar mussten einige Läden bereits krisenbedingt schließen, jedoch haben wir noch immer 300 im Unverpackt-Verband organisierte Mitglieder. Nach wie vor hoffen wir, dass auch die Politik mehr eingreift. Wir fordern beispielsweise, dass Hafermilch mit 7 Prozent besteuert wird und Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften, mehr Unterstützung bekommen.

Nachdem so viele Läden krisenbedingt schließen mussten: Wie groß ist die Sorge, dass es auch Sie wieder trifft?

Ich bin schon lange in der Nachhaltigkeitsszene in Berlin unterwegs – und diese wächst. Zudem vertraue ich auf unsere sehr loyale Stammkundschaft, die ebenfalls größer wird. Verbände, Lieferanten – wir alle unterstützen uns gegenseitig. Berlin ist für einen Laden dieser Art einfach der beste Ort. Deshalb bleibe ich positiv.

Mit Katharina Richter sprach Leah Nowak

This article was first published at www.n-tv.de

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