Getir und Gorillas geben auf: “Auch für Flink wird es kein Happy End geben”

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Der Verdrängungswettbewerb unter den Schnelllieferdiensten ist in vollem Gange. Nun scheint das Aus von Getir und Gorillas in Deutschland beschlossen. Von den einstigen Überfliegern bleibt nur noch Flink übrig. Ein Garant für dauerhaften Erfolg ist das aber nicht.

Blitzlieferdienste sind längst nicht mehr die Börsenlieblinge, die sie einmal waren. Die Zeiten, in denen Investoren Unsummen in Gorillas, Flink und Co gesteckt haben, obwohl keines der Unternehmen profitabel ist, sind vorbei. Frisches Geld ist mit den Zinserhöhungen der Notenbanken nicht mehr billig zu haben, die Konjunktur schwächelt und in der Branche herrscht ein heftiger Verdrängungswettbewerb. Dabei hat keines der Unternehmen bislang schwarze Zahlen geschrieben.

Die viel heraufbeschworene Konsolidierungswelle rollt – spätestens seit bei Getir und Gorillas über einen Rückzug aus Deutschland spekuliert wird. Das türkische Unternehmen Getir hatte Ende 2022 den Berliner Konkurrenten Gorillas gekauft. Einem Bericht der “Wirtschaftswoche” zufolge sollen 1800 Angestellte Anfang dieser Woche ihre Kündigung erhalten haben. Der Anbieter aus Istanbul hat insgesamt bislang 1,8 Milliarden Dollar Risikokapital von Investoren einsammeln können. Berichten verbrennt das Startup monatlich zwischen 50 und 100 Millionen Euro.

Von den großen Anbietern ist jetzt nur noch Flink in Deutschland übrig. Mit geschätzten 80 Prozent Marktanteil dominiert das Unternehmen den Markt. Im vergangenen Jahr soll Flink in Europa insgesamt 560 Millionen Euro Umsatz gemacht haben – ohne dabei jemals Geld verdient zu haben.

Der Rückzug von Getir und Gorillas bedeutet laut Otto Strecker, Experte für Lebensmittelmarketing und Vorstand der AFC Consulting Group AG, allerdings nicht, dass Flink als Gewinner aus dem Verdrängungswettbewerb hervorgeht. Da Schnelllieferdienste keinem Geschäftsmodell der sogenannten Plattform-Ökonomie folgen, lasse es sich nicht ohne größere Anstrengungen auf beliebig viele Kunden und Transaktionen erweitern. Für jeden neuen Standort müssen Lager gemietet, Lebensmittel bevorratet und Kuriere beschäftigt werden. “Daher gilt hier nicht: The winner takes it all! Auch für Flink wird es kein Happy End in Sachen Quick-Commerce geben. Es heißt im Gegenteil: Der Letzte macht das Licht aus”, sagt Strecker.

Nicht haltbares Versprechen

“Deutschland ist der härteste Lebensmittel-Markt der Welt”. Hierzulande hätten Discounter wegen Anbietern wie Aldi und Lidl eine besondere Bedeutung – anders als in der Türkei. Daher seien die Margen von Lebensmitteln in Deutschland geringer als in anderen Ländern. “Es ist weniger Geld zur Verfügung, um Lieferungen aus der Produktmarge zu subventionieren, deren Kosten durch die Liefergebühr nicht gedeckt werden können. Wenn man dann noch schlechter einkauft als einer der Handelsriesen und trotzdem zu Supermarktpreisen verkaufen will, wird es eng”, sagt Strecker.

Stichtag für Getir soll laut Informationen der “Wirtschaftswoche” der 15. Mai sein. Von Investoren hat der 2015 gegründete türkische Lieferdienst noch eine Finanzierung in bestehender zweistelliger Millionenhöhe zugesagt bekommen. Die Bedingung: Das Geld soll für den Rückzug und die Abwicklung der drei Märkte Deutschland, Großbritannien und Niederlande verwendet werden. Im Heimatmarkt Türkei soll das Geschäft mit Lebensmittellieferungen hingegen weiter ausgebaut werden. Getir macht in der Türkei laut Eva Stüber vom IFH Köln aktuell 90 Prozent seiner Umsätze, daher sei es eine logische Konsequenz, sich auf diesen Markt zu konzentrieren. Der Niedriglohnsektor sehe dort auch anders aus, wodurch der Betrieb kostengünstiger möglich sei.

Mit dem Rückzug aus Deutschland dürfte Getirs Idee, Flink zu kaufen, vom Tisch sein. Zuletzt hatten sich die Investoren von Flink dazu verpflichtet, weitere 100 Millionen Dollar in das Startup zu pumpen, damit es weiter wachsen kann. Die Finanzierungsrunde wurde von den bestehenden Geldgebern von Flink angeführt, darunter der deutsche Lebensmittelhändler Rewe sowie die Risikokapitalgeber Bond, Northzone und Cherry Ventures, so “Bloomberg”.

Das strukturelle Problem, dass man mit kleinen Liefergebühren zu Supermarktpreisen innerhalb weniger Minuten nicht profitabel liefern könne, ändere auch die aktuelle Finanzspritze nicht, so Strecker. “Die einzige Lösung heißt, sich von diesen nicht haltbaren Versprechen und dem damit verbundenen Geschäftsmodell zu trennen.” Flink habe in seiner bisherigen Form als Quick-Commerce-Anbieter keine Zukunft. Für den dringend nötigen Wandel bleibt dem Unternehmen laut Strecker nicht viel Zeit. “Über die Zukunft von Flink entscheiden die nächsten sechs Monate”.

Flink braucht “vor allem frische Ideen”

Überleben könnte der Blitzlieferdienst als reine Service-Gesellschaft zur Auslieferung von Rewe-Produkten ohne Gewinnanspruch, mit dem Ziel, mehr über die Lebensmittel-Kunden zu lernen und die unterschiedlichen Welten von Online und Offline miteinander zu verbinden. “Bisher ist der Rewe-Anteil aber eher klein. Zu klein, um Flink kostengünstig zu integrieren”, sagt Strecker. Das ginge erst, wenn den übrigen Investoren klar wird, dass der Wert ihrer Beteiligungen gegen null geht.

Für die Entwicklung hin zu einem tragfähigen Geschäftsmodell könnte sich laut Strecker der Blick auf Picnic lohnen. Das Unternehmen setzt nicht auf Blitzlieferungen, sondern bietet in der App vorgegebene potenzielle Zeitfenster an. Lieferungen nach dem “Eiermann-Vorbild” auf festen Routen sind laut Strecker viel besser planbar und daher profitabler zu gestalten. “Flink muss schnell einen eigenen Weg finden und braucht dafür nicht nur frisches Kapital, sondern vor allem frische Ideen”, sagt Strecker.

Stüber vom IFH ist etwas optimistischer und sieht im Onlinelebensmittelhandel noch viel Potenzial. Um Flink profitabel zu machen, empfiehlt die Expertin ganz profan bei den Kosten anzusetzen. So könnte zum einen durch eine Automatisierung im Lager und bei der Routenplanung sowie vor allem bei der Bündelung von Auslieferungen Geld gespart werden. Zum anderen könnte auf der Umsatzseite die Auslastung der einzelnen Warenlager erhöht werden, um die durchschnittlichen Warenkörbe zu steigern. “Auch weitere Erlöslinien bieten Potenzial: Für die gebotene Bequemlichkeit kann beispielsweise eine höhere Liefergebühr fällig werden oder der Service könnte sogar im Abo angeboten werden.”

This article was first published at www.n-tv.de

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