Draghi hat einen Plan: Brüssel will Europa mit der Schuldenunion retten

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Laut Ex-EZB-Chef Mario Draghi braucht die EU milliardenschwere Investitionen, um im Wettbewerb mit China und den USA mitzuhalten. Das Geld soll womöglich auch aus Euro-Bonds auf Dauer kommen: Die Pläne dafür liegen offenbar schon in der Schublade.

Als die Staats- und Regierungschefs im Juli 2020 zum EU-Sondergipfel in Brüssel zusammenkamen, hatte die Corona-Krise Europa voll im Griff. Brüssel hatte damals vor allem auf dem Radar, Masken und Impfstoffe zu beschaffen und mit Kontaktsperren die Inzidenzen zu senken. So ging fast unter, dass die EU-Staaten mitten in der Pandemie eine historische Zeitenwende einläuteten: Zum ersten Mal überhaupt machten sie gemeinsame Schulden für den Wiederaufbau und die Folgekosten der Corona-Krise. Die EU-Kommission wurde ermächtigt, dafür bis zu 750 Milliarden Euro über sogenannte “NextGenerationEU (NGEU)”-Bonds aufzunehmen.

Geht es nach Brüssel, soll dieses Geld nun zum Grundstock einer dauerhaften Schuldenunion werden. Das könnte zum Sprengstoff für die EU werden, denn die Gemeinschaft steuert auf eine gigantische Haushaltslücke zu. Die Rückzahlungen von Zinsen und Kapital aus dem Corona-Wiederaufbaufonds drohen in den kommenden Jahren das EU-Budget zu sprengen. 30 Milliarden Euro Belastungen fallen jährlich an, etwa ein Sechstel von dem, was die EU insgesamt pro Jahr ausgibt.

Um das Loch zu stopfen, will Brüssel nun die Anleihen aus der Corona-Zeit verlängern, berichtet die britische “Financial Times”. “Die Mitgliedsstaaten sollten erwägen, die Ressourcen der EU-Kommission durch die Verschiebung der Rückzahlung der NGEU-Anleihen zu erhöhen”, empfahl Ex-EZB-Chef Mario Draghi Anfang der Woche in einem Bericht zur schwächelnden Wettbewerbsfähigkeit der EU. Im Endeffekt sollen die Bonds zurückgezahlt werden, in dem neue Anleihen ausgegeben werden – so wie es alle EU-Länder schon mit ihren eigenen Staatsanleihen machen. Es wäre der Einstieg in die dauerhafte Vergemeinschaftung der Schulden in der Europäischen Union.

Euro-Bonds gegen den Abstieg Europas

Offiziell hat Brüssel bislang rund 96 Milliarden Euro an gemeinsamen Schulden über den 2020 vereinbarten NGEU-Kreditrahmen aufgenommen. Doch im Corona-Wiederaufbaufonds wurden bereits Mittel von 171 Milliarden Euro verplant, bis zu 358 Milliarden Euro könnten es am Ende werden. Die EU hatte eigentlich angedacht, die Rückzahlungen dieser Gemeinschaftsschulden aus eigenen Finanzquellen zu stemmen. Dazu sollte sie neue Instrumente in die Hand bekommen: Geplant waren etwa eine Digitalsteuer, eine Kunststoffabgabe und Einnahmen aus dem CO2-Handel.

Doch all das ist entweder noch nicht beschlossen oder nicht umgesetzt. Ab 2028 starten aber die Rückzahlungen, bis 2058 sollen alle gemeinsamen Schulden getilgt sein. Und seit Sommer 2020 haben weitere Krisen wie Russlands Überfall auf die Ukraine und die explodierenden Energiekosten die Wettbewerbsfähigkeit der EU weiter verschlechtert.

Entweder müssen die EU-Staaten also künftig höhere Beiträge in den EU-Haushalt zahlen, um die auflaufenden Finanzlasten zu schultern. Oder im jahrelang ausgehandelten mehrjährigen Finanzrahmen der EU den Rotstift ansetzen. “Wenn nichts passiert, wird es einen Schock bei den Beiträgen der Mitgliedstaaten geben, oder man muss den bestehenden Haushalt kürzen”, zitiert die “FT” einen EU-Beamten. Die Schulden zu überwälzen, würde daher “absolut Sinn ergeben”, sagte ein anderer Offizieller in Brüssel.

Lindner hält wenig von der Idee

Hinzu kommt, dass die EU in den nächsten Jahren ohnehin eine Menge Geld brauchen wird. In seinem Bericht stellte Ex-EZB-Chef Mario Draghi fest, dass Europa mindestens 750 bis 800 Milliarden Euro jährlich für neue Investitionen in die Energiewende, die Digitalisierung und sein Militär braucht, um im Wettbewerb mit den USA und China zu bestehen und verteidigungsbereit gegenüber Russland zu werden. Das sind fast 5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Europas. Bislang gibt die EU gerade mal 1 Prozent der EU-BIPs aus.

Außerdem sind nicht nur die EU-Finanzmärkte, sondern auch die Staatsausgaben zersplittert. Mit gemeinsam begebenen Bonds würden sie ihre Ausgabenpower bündeln. Die Papiere würden zur sicheren Standard-Anleihe werden, mit der Banken ihre Refinanzierungsgeschäfte besichern, mehr globales Kapital nach Europa holen und ähnlich wie US-Staatsanleihen zum Goldstandard am Finanzmarkt aufsteigen, in dem ausländische Zentralbanken ihre Reserven bunkern, wirbt Draghi in seinem Bericht.

Mit dem Plan soll das gemeinsame Schuldenmachen der EU auch nicht ausgeweitet, sondern nur längerfristig auf dem Level gehalten werden, der im Sommer 2020 bereits beschlossen wurde. Trotzdem sind die Hürden hoch: Alle EU-Staaten müssten die Idee einstimmig unterstützen – allen voran Deutschland. Doch das Bundesverfassungsgericht hat dem Corona-Wiederaufbaufonds nur unter der Bedingung zugestimmt, dass er einmalig und begrenzt bleibt. Und für Finanzminister Christian Lindner sind Draghis Pläne schon jetzt eine Totgeburt: Sie liefen darauf hinaus, dass Deutschland für andere zahle, sagte er ntv. “Das kann kein Masterplan für die Europäische Union sein. Da sollte schon jeder Staat für seine eigenen Staatsfinanzen die Verantwortung übernehmen.”

Damals, als der Corona-Wiederaufbaufonds und mit ihm die ersten gemeinsamen Schulden der EU beschlossen wurden, hieß die Bundeskanzlerin noch Angela Merkel und ihr Finanzminister Olaf Scholz. Der nannte die Corona-Bonds 2020 “eine historische Chance”, um Europas Zukunft zu gestalten. Nun sitzt er selbst im Kanzleramt. Und muss womöglich bald beweisen, ob er es damals ernst gemeint hat.

This article was first published at www.n-tv.de

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